Narong San – Aus dem Leben eines kambodschanischen Medizinstudenten
- stiftungkanthaboph
- vor 5 Tagen
- 4 Min. Lesezeit

Nach langer Reise sind wir – die neue Schar Schweizer Studenten – gegen Ende April heil in Siem Reap angekommen und haben uns seither bestens im Spital Jayavarma VII eingelebt. Neben all den neuen medizinischen Eindrücken, die wir bisher auf der Geburtshilfe und der pädiatrischen Intensivstation (PICU) gewinnen durften, sind es – in einem der weltweit grössten Kinderspitäler – vor allem die zwischenmenschlichen Kontakte und Erfahrungen mit den Menschen, die unsere Herzen erobern.
Gerne möchten wir Euch daher in unserem ersten Artikel von unserem neuen Freund Narong San berichten – einem von mehreren kambodschanischen Medizinstudenten, welche hier so wie wir einen Teil ihres Praktikums absolvieren. Die Erzählungen Narongs haben uns viel über die Vergangenheit Kambodschas, das Schulwesen, die medizinische Versorgung und den generellen Wandel, in dem das Land steht, gelehrt.
Wie in vielen anderen kambodschanischen Familien stellte die Schreckensherrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 eine grosse Zäsur dar. Sein Vater, 1970 geboren, wuchs als das siebte und jüngste Kind in einer Bauernfamilie auf. Und obwohl die Gegend um Kampong Cham etwas weniger von der Brutalität des Regimes betroffen gewesen war, litt die Familie unter ihrer Willkür und der im ganzen Land präsenten Hungersnot. Für die Familie sei besonders der Wegfall der Schule und der medizinischen Versorgung schwierig gewesen – der kommunistische Diktator Pol Pot liess unter anderem Lehrer und Ärzte hinrichten. Und sowohl alle Schulen als auch Spitäler wurden unter dem Vorwand der Gleichstellung aller Bürger geschlossen.
Nach Beendigung des Regimes der Roten Khmer im Jahre 1979 – initiiert durch die Invasion Kambodschas durch vietnamesische Truppen – blieb die Lage in Kambodscha nach wie vor schwierig. Dennoch konnte Narongs Vater eine der wiederaufgebauten Schulen besuchen, durch Unterstützung der ganzen Familie eine gymnasiale Laufbahn in Angriff nehmen und im Anschluss Medizin in Phnom Penh studieren. Die Schulen und Universitäten seien in der Phase des Neuaufbaus mit einfachsten Mitteln ausgestattet gewesen. Da im Land Lehrer fehlten, wurde jegliche Art personeller Ressourcen eingesetzt, solange sie eine nützliche Fähigkeit unterrichten und weitergeben konnten.
Studentenunterkünfte existierten nicht, und so wohnte Narongs Vater während seines Studiums dank der grosszügigen Mönche in Phnom Penh kostenlos in ihrem Stadtkloster. Nach dem Studium durfte er einen einjährigen Austausch in Frankreich absolvieren, danach gründete er noch vor seinem dreissigsten Lebensjahr seine eigene Frauenarztpraxis. Kurz darauf kam Narong als erstes von vier Kindern auf die Welt.
Narong wurde am 2. Juli 2001 in Kampong Cham am Mekong-Fluss geboren und hatte im Vergleich zur Generation seiner Eltern eine Kindheit mit deutlich weniger Verzicht. Die öffentlichen Schulen waren mittlerweile für den Grossteil der Bevölkerung wieder zugänglich, Lehrer wurden ausgebildet und die Infrastruktur in allen Bereichen laufend verbessert. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr gab es nachts beispielsweise keinen Strom und die Strassen waren mehrheitlich noch nicht asphaltiert – Umstände, die mittlerweile auch für Narong nicht mehr vorstellbar sind. Er besuchte die Primarschule in seiner Heimatstadt und hatte anschliessend das Privileg, auf Wunsch seines Vaters eine internationale, englischsprachige Highschool in Phnom Penh zu besuchen, was ihm das Erreichen ausgezeichneter Englischkenntnisse ermöglichte.
Historisch gesehen war das Französisch aufgrund der ehemaligen Kolonisierung Kambodschas durch Frankreich lange die wichtigste Zweitsprache. Dennoch hat das Englisch – besonders in der breiten Bevölkerung – mittlerweile einen grösseren Stellenwert, wobei das Französisch noch an gewissen Universitäten die Fachsprache bleibt. Nach der Highschool nahm Narong dann in Phnom Penh das Medizinstudium in Angriff und bewarb sich zugleich für ein Stipendium, welches ihm das Fortsetzen des Studiums im aus akademischer Sicht lukrativeren Japan ermöglichen würde. Er wurde aus über 1000 Kandidaten ausgewählt und ist einer von jährlich zwei kambodschanischen Studierenden, die an der International University of Health and Welfare in Narita das Medizinstudium absolvieren dürfen. Dazu musste er vor Fortsetzung des Studiums in einem dreimonatigen Sprachkurs Japanisch lernen. Japanisch hat nahezu keine Ähnlichkeiten mit Khmer – der kambodschanischen Landessprache – oder dem Englischen und besitzt ein komplett eigenes Schriftsystem.
Zurzeit befindet sich Narong im sechsten von acht Studienjahren. Während in den ersten drei Jahren an der Universität ausschliesslich Theorie gelehrt wird, folgt ab dem vierten Jahr ein mehr praxisbezogener Fokus mit fortlaufendem Wechsel in verschiedene Spitäler und Kliniken als Ausbildungsstätten. Kambodschanische Studierende müssen einen Teil der Praktika in Kambodscha absolvieren – und so folgte Narong dem guten Ruf der Kantha Bopha-Spitäler, die allgemein im Land einen hohen Bekanntheitsgrad und einen exzellenten Ruf haben. So ist er nun mit uns hier, um für zwei Monate in den verschiedenen Fachrichtungen des Kinderspitals Jayavarma VII in Siem Reap zu arbeiten und Einblicke zu gewinnen.

Wie wir ist Narong vom Spital sehr begeistert – das Personal ist ausgesprochen nett, kompetent und hilfsbereit. Den Ärzten ist im Spital die Lehre ein grosses Anliegen, und so erhalten wir täglich Ausbildungen in den verschiedenen Fachbereichen. Wie Narong sich seine persönliche Zukunft genau vorstellt, kann er noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Momentan interessieren ihn die Geburtshilfe und die Onkologie, insbesondere die onkologische Chirurgie, als mögliche Fachrichtungen. An sein Stipendium ist die Verpflichtung gebunden, sieben Jahre seiner zukünftigen ärztlichen Tätigkeit in Kambodscha auszuüben. Da es ihm jedoch auch in Japan ausgesprochen gut gefällt, schliesst er eine Auswanderung in den nicht unweit gelegenen Inselstaat langfristig nicht aus.
Egal, was die Zukunft für ihn bereithält: Wir wünschen Narong von Herzen alles Gute auf seinem Weg und hoffen, ihn bald wiederzusehen – sei es auf einem Ferienbesuch in Japan, Kambodscha oder der Schweiz.
Mit besten Grüssen aus Siem Reap
Andrin und Simeon
Comments