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Interview mit Prof. Yay Chantana

  • stiftungkanthaboph
  • 18. Juni
  • 8 Min. Lesezeit


Wir dürfen jeden Tag viele neue Bekanntschaften am Kantha-Bopha-Spital in Siem Reap machen. Für uns alle eine der wertvollsten ist der nahe Bezug und rege Austausch zu den Chefärzten. Jeden Morgen werden wir – Andrin, Rebecca und Simeon – herzlich in Empfang genommen. Wir nehmen auf den extra für uns reservierten Stühlen Platz und tauschen uns mit ihnen aus, bis die Morgenkonferenz beginnt. Diese Nahbarkeit und Hilfsbereitschaft schätzen wir sehr. Gerne möchten wir in diesem Artikel die spannende Persönlichkeit von Prof. Dr. Yay Chantana der Leserschaft näherbringen.



Professor Chantana, Sie sind die direkte ärztliche Nachfolge von Dr. Beat Richner im Spital Jayavarman VII in Siem Reap. Können Sie sich kurz vorstellen?


Ich bin Professor der Pädiatrie und arbeite seit 1992 an den Kantha Bopha-Spitälern. Seit dem Tod von Dr. Beat Richner bin ich Spitaldirektor in Siem Reap.



Als Spitaldirektor muss Ihr Terminkalender sicher ziemlich vollgepackt sein. Wie sieht ihr Tagesablauf im Spital aus?


Mein Tag beginnt in der Regel früh – ich wache um 4.00 Uhr auf und mache Sport. Um 6.20 Uhr bin ich im Krankenhaus, wo ich mich zunächst mit den Nachtdienstleitern treffe. Sie informieren mich über Notfälle, schwere Fälle und besondere Vorkommnisse während der Nacht. Wir haben eine 24-Stunden-Hotline, über die sie mich jederzeit in der Nacht erreichen kann, damit kritische Patienten schnell und effizient versorgt werden können. Unser erstes offizielles Meeting beginnt um 7.15 Uhr, danach folgen die Visiten. Nach den klinischen Visiten nehme ich häufig an verschiedenen Konferenzen teil. Montags von 14.00 bis 18.00 Uhr findet das sogenannte „Leadership-Meeting“ statt, an dem der Gesundheitsminister und Direktoren anderer Krankenhäuser aus ganz Kambodscha teilnehmen. Dabei berichten wir nicht nur über den Zustand unseres Krankenhauses, sondern erhalten auch landesweite Updates zu aktuellen gesundheitlichen Herausforderungen. Am nächsten Tag informiere ich unser Krankenhauspersonal über die Inhalte der Besprechung und setze notwendige Massnahmen um. Zusätzlich zu diesen Aufgaben finden zweimal im Monat zwei wichtige Treffen statt – eines für Führungskräftetraining und eines als grosse krankenhausweite Konferenz. Morgen zum Beispiel werde ich an der IPC-Konferenz (Infektionsprävention und -kontrolle) in Siem Reap teilnehmen, die in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium organisiert wird. Dort werden wir über neue Gesundheitsprotokolle sprechen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Vogelgrippe oder COVID-19, und wie diese wirksam an die Öffentlichkeit kommuniziert werden können.


Neben der klinischen Aufsicht bin ich auch für die Infrastruktur des Krankenhauses, die Hygienestandards sowie die Organisation des Pflegepersonals verantwortlich. Ich arbeite eng mit der leitenden Pflegegruppe, der IPC-Arbeitsgruppe und dem internen Kontrollsystem des Krankenhauses zusammen. Ich überwache täglich den Medikamentenbestand, koordiniere Reparaturen wichtiger Geräte wie MRT- und CT-Scanner und stelle sicher, dass wir auf internes Feedback und betriebliche Probleme schnell reagieren. Ausserdem bin ich aktiv an Forschungsprojekten beteiligt und unterrichte Medizinstudierende an der Universität in Phnom Penh. Darüber hinaus arbeite ich mit internationalen Partnern zusammen, insbesondere mit Ärzten aus der Schweiz, um die Kapazitäten unseres Krankenhauses weiterzuentwickeln. Derzeit prüfen wir beispielsweise die Einführung der pädiatrischen Hämodialyse – ein Angebot, das in unserem Haus bisher nicht verfügbar ist. Es gibt viele medizinische Spezialgebiete, die wir gemeinsam mit unseren internationalen Kolleginnen und Kollegen aufbauen möchten.



Das klingt nach grossem Engagement Ihrerseits. Was sind die Herausforderungen, denen Sie täglich gegenüberstehen?


Wir beschäftigen derzeit 1370 Mitarbeitende und versorgen etwa 1300 stationäre Patientinnen und Patienten – bei lediglich 1129 verfügbaren Betten. Das bedeutet, dass nicht alle ein Bett erhalten können. Ich trage die Verantwortung dafür, dass trotzdem alle bestmöglich versorgt werden und am Ende Zufriedenheit herrscht. In Zeiten von Social Media kann ein unzufriedener Post schnell einen grossen Shitstorm auslösen – mit potenziellen Folgen für das Vertrauen und die Finanzierung des Spitals. Deshalb fragen wir die Eltern mithilfe von QR-Codes aktiv nach ihrer Zufriedenheit. In diesem Jahr waren 92 Prozent der befragten Eltern mit der Behandlung zufrieden.


Unsere Mitarbeitenden versuchen wir durch eine offene und nahbare Führung an das Spital zu binden. Wir zahlen gute Löhne, verlangen im Gegenzug jedoch, dass keine Nebentätigkeiten ausgeübt werden – so vermeiden wir Interessenskonflikte. Trotz der hohen Belastung ist das Kantha-Bopha-Spital nach wie vor ein sehr gefragter Arbeitgeber im Gesundheitswesen Kambodschas. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir intensiv in Aus- und Weiterbildung investieren. Ich bin besonders unserem engagierten Personal dankbar – denn nur durch ihren Einsatz gelingt es uns, alle Patientinnen und Patienten rund um die Uhr kostenlos zu behandeln.




Gehen wir ein paar Jahre zurück: Wie haben Sie Ihre Karriere als Arzt begonnen und wie hat sie sich im Laufe der Jahre entwickelt?


Durch die Bekanntschaft mit Dr. Beat Richner durfte ich bereits 1992, also zwei Jahre vor dem Abschluss meines Medizinstudiums, ärztlich tätig sein. Dadurch konnte ich früh wertvolle praktische Erfahrungen sammeln. Von der einfachen Grundversorgung in den frühen 1990er-Jahren bis hin zu komplexen Herzoperationen, die wir seit 2011 durchführen können, haben wir innerhalb kurzer Zeit enorme Fortschritte gemacht.


Ich hatte das grosse Glück, von Fachspezialisten aus der Schweiz und der ganzen Welt lernen zu dürfen, was mir bis heute einen fundierten Überblick über viele medizinische Fachgebiete ermöglicht. Und auch heute lerne ich täglich dazu. Die grössten Fortschritte der letzten acht Jahre waren der Aufbau der Intensivstation mit automatischen Beatmungsgeräten sowie die Eröffnung der onkologischen Abteilung im Mai dieses Jahres.

 


Sie haben also die Erfolgsgeschichte des Spitals seit seinen Anfängen mitgestaltet. Welche Rolle haben Sie beim Aufbau und der Entwicklung des Spitals Kantha Bopha gespielt?


Nach der Schreckensherrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 und den unsicheren Jahren danach gab es in Kambodscha nahezu keine medizinische Versorgung mehr. Die grundlegenden Strukturen für ein funktionierendes Gesundheitssystem mussten erst wieder aufgebaut werden. Ich hatte das Privileg, Dr. Beat Richner durch meinen Vater kennenzulernen, und konnte dadurch von Beginn an am Wiederaufbau des Kantha Bopha-Spitals mitwirken. Der Wiederaufbau begann in Phnom Penh und wurde 1999 auf Siem Reap ausgeweitet. Von Anfang an habe ich zusammen mit Dr. Beat Richner als Co-Direktor die Entwicklung und Ausrichtung des Spitals aktiv mitgestaltet. Die Spitäler sind seither kontinuierlich gewachsen. Die Ausweitung und stetige Verbesserung der medizinischen Versorgung mit Dr. Beat Richner und unserem immer grösser werdenden Team haben wir konsequent vorangetrieben.


Ein bedeutender Einschnitt war die Erkrankung von Dr. Beat Richner im Jahr 2017 – sowohl persönlich als auch institutionell. In dieser schwierigen Zeit war die Unterstützung durch Dr. Peter Studer und die Kantha Bopha-Stiftung in der Schweiz eine grosse Hilfe. Wir mussten die Finanzierung und die medizinische Versorgung auch ohne die Strahlkraft von Dr. Beat Richner sicherstellen. Die Aufgabe als Leiter des Spitals war besonders nach seinem Tod eine grosse Herausforderung. Heute erfüllt es mich mit Stolz, dass wir rund 80 Prozent aller Kinder in Kambodscha in den Kantha-Bopha-Spitälern medizinisch versorgen können – und das weiterhin kostenlos. Möglich wird dies auch durch die Erschliessung neuer Einnahmequellen zur Sicherung der Finanzierung.



Sie arbeiteten also mit Dr. Beat Richner seit Beginn Ihrer ärztlichen Karriere zusammen. Wie war Ihre Beziehung zu ihm und was haben Sie von ihm gelernt?


Dr. Beat Richner hat all das, was wir hier sehen, ermöglicht, und wir durften viel von ihm lernen. Von vielen wird er geradezu wie ein Gott verehrt. Dr. Beat Richner war eine sehr grosszügige und beständige Persönlichkeit – er war immer bei der Arbeit und gönnte sich nahezu keinen freien Tag, um einen Tempel, Nationalpark oder Berg anzuschauen. Jeden Samstag spielte er im Konferenzsaal unseres Spitals Konzerte auf seinem Cello, um Spendengelder zu sammeln. Er war nicht nur bei seinen Konzerten der Taktgeber, sondern traf auch täglich die Entscheidungen im Spital. Er war sehr selbstbestimmt und es gab nie grosse Diskussionen – auf Visiten hiess es entweder ja oder nein (lacht). Heute führe ich sein Erbe als Spitaldirektor fort – wenn auch mit anderen persönlichen Eigenschaften – und folge dabei derselben tiefgründigen Philosophie, die Dr. Beat Richner für uns geschaffen hat.


Eines der grundlegenden Prinzipien, die ich von Dr. Beat Richner gelernt habe, ist jenes der Interessenskonflikt-Nulltoleranz. Alle Mitarbeitenden aller Kantha Bopha-Spitäler arbeiten ausschliesslich hier – ihnen ist es nicht erlaubt, in einem anderen Unternehmen tätig zu sein. Diese Unbestechlichkeit ist meiner Meinung nach die grundlegende Qualität unseres Spitals und das Schlüsselelement für unseren Erfolg. Ein zweites wichtiges Element, welches Dr. Beat Richner uns gelehrt hat und das wir seither in unserem Spital pflegen, ist das Prinzip des Rapid-Response bei jeder Patientin und jedem Patienten: Wir lassen niemanden warten, ohne ihn adäquat untersucht und mit bestem Gewissen behandelt zu haben. Dieses Vorgehen gewährt uns die bereits angesprochene hohe Patientenzufriedenheit. Zusammen mit den äussersten kollegialen Beziehungen und freundlichen Begegnungen, die wir zwischen allen Mitarbeitenden, Patienten und Angehörigen pflegen, sind dies die Grundpfeiler für die erfolgreiche Zusammenarbeit in unserem Spital.

 


Die Geschichte und Mission der Kantha Bopha-Spitäler ist tief mit der Schweiz verwurzelt. Was denken Sie über die Stiftung und die Schweizer Finanzhilfe?


Wir sind in hohem Masse auf die Stiftung und die grosszügige Unterstützung der Schweizer Spender angewiesen, um den Betrieb unserer Krankenhäuser aufrechtzuerhalten. Die Stiftung ermöglicht es auch Schweizer Studierenden, zu uns zu kommen, in unseren Krankenhäusern zu lernen und sich an unserer Mission zu beteiligen – einschliesslich der Unterstützung bei Spendenanlässen. Indem Sie unsere Arbeit vor Ort erleben, können Sie Ihre Erfahrungen mit der Schweizer Öffentlichkeit teilen. Wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat, wird die Botschaft umso wirkungsvoller – und das ist eine grosse Hilfe beim Spendensammeln. Wir sind sehr stolz und zutiefst dankbar für die anhaltende Unterstützung und das Vertrauen der Schweizer Spenderschaft.


Sie haben uns Schweizer Studierenden erwähnt. Was denken Sie über die Arbeit von Schweizer Studenten in Ihrem Spital?


Ich bin sehr dankbar für die Schweizer Studierenden, die zu uns kommen, um bei uns zu arbeiten und zu lernen. Kambodschanische Studierende, Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte sind immer bereit, ihr Wissen zu teilen – wir haben keine Interessenkonflikte, und genau diese Offenheit fördert eine sehr positive und kooperative Zusammenarbeit. Wir legen grossen Wert auf Solidarität mit den Studierenden und möchten auf allen Ebenen unseres Krankenhauses – von den Leitungen bis hin zu den Studierenden – ein unterstützendes und freundliches Umfeld schaffen. Es ist uns wichtig, dass sich alle willkommen und wertgeschätzt fühlen.


Wissen an die jüngere Generation weiterzugeben, ist für uns eine zentrale Verantwortung. Die Zeit vergeht schnell, und wenn wir unser Wissen nicht weitergeben, geht es verloren. Ich persönlich empfinde grosse Dankbarkeit gegenüber denen, die vor mir kamen – insbesondere Dr. Beat Richner und Dr. Peter Studer – und mich gelehrt und inspiriert haben. Jetzt ist es an der Zeit, etwas zurückzugeben und dasselbe für andere zu tun.

 


Bereits seit drei Jahrzehnten sind Sie jeden Tag hautnah dabei. Wie sehen Sie die Zukunft von Kantha Bopha?


Wir haben eine junge Generation, die bereit ist, die Arbeit des Krankenhauses fortzuführen. Wie sich jedoch die finanzielle Situation in Zukunft entwickeln wird, ist ungewiss. Derzeit erhalten wir Unterstützung von der Regierung, und gut 50 bis 60 Prozent unserer Finanzierung kommen aus der Schweiz. Diese Unterstützung ist entscheidend für den Betrieb des Krankenhauses und dafür, dass die Behandlungen weiterhin kostenlos bleiben können. Welche Auswirkungen eine Änderung der Finanzierungsstruktur hätte, sodass die Patienten für ihre Behandlungen selbst aufkommen müssten, kann ich nicht sagen – das hängt ganz davon ab, wie viele Spenden wir in Zukunft erhalten. Unsere Zukunft ist eng mit politischer und finanzieller Unterstützung verbunden.


Unsere Arbeit hat jedoch eine grosse Wirkung auf die Bevölkerung, und ich glaube, dass die Regierung uns auch weiterhin unterstützen wird. Die Philosophie von Dr. Beat Richner war es, Kindern bis zum Alter von 15 Jahren eine kostenlose medizinische Versorgung zu gewährleisten, da sie in diesem Alter noch nicht selbst für sich sorgen können. Genau dies möchten wir so gut es geht weiterführen. Die Regierung hat bereits einen Sozialversicherungsfonds eingeführt, der derzeit erwachsenen Patienten in Kambodscha zugutekommt. Es besteht die Hoffnung, dass dieses System künftig auch auf pädiatrische Patienten ausgeweitet wird.


 

Wir sind am Ende unseres Interviews angelangt. Was ist Ihre Nachricht an die Schweizerinnen und Schweizer, die dieses Interview lesen werden?


Ich möchte meinen tiefen Dank an die Schweizer Spenderinnen und Spender aussprechen, die unsere Kantha Bopha-Spitäler unterstützen. Im Namen meiner selbst und des kambodschanischen Volkes danke ich ihnen von Herzen für ihre anhaltende Grosszügigkeit gegenüber den Kinderkrankenhäusern. Ihre Unterstützung macht einen bleibenden Unterschied im Leben unzähliger Kinder. Vielen herzlichen Dank.

 


Wir sind sehr dankbar für die Bekanntschaft mit Professor Chantana, seine Zeit und seine Bereitschaft, sein Wissen und seine Erfahrungen mit uns zu teilen. Gleichzeitig sind wir sehr beeindruckt von seinem riesigen Engagement für das Wohl kambodschanischer Kinder. Arkoun, Professor Chantana.



Mit besten Grüssen aus Siem Reap

Rebecca, Andrin und Simeon


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