Zwischen Leben und Tod
- stiftungkanthaboph
- 8. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Ich reiste im September, zu einer ganz besonderen Zeit, in die kleine Stadt der vielen Tempel. Es ist Regenzeit, dicke Wolken hängen am Himmel und überschwemmen die Strassen. Das viele Wasser lässt das Grün der tropischen Pflanzen besonders saftig aussehen und die Reisfelder erstrahlen in einem Emerald-grünen Farbton. Die unzähligen goldenen Schreine in den Vorhöfen der Bungalows sind üppig mit Früchten und Dekorationen geschmückt. Dieses Zusammenspiel von Farben, Klima und Licht schafft eine einzigartige Atmosphäre.
In diesen Tagen feiert Kambodscha eines seiner wichtigsten religiösen und kulturellen Feste. Pchum Ben, auch bekannt als das Fest der Ahnen. Über einen Zeitraum von 15 Tagen besuchen Gläubige landesweit Pagoden und bringen Früchte, Reis und andere Gaben dar, mit dem Glauben, dass diese Opfergaben die Seelen ihrer verstorbenen Angehörigen erreichen. Pchum Ben ist tief im Buddhismus verankert und markiert eine Zeit intensiver spiritueller Besinnung. Die kambodschanische Bevölkerung glaubt, dass in dieser Periode die Tore der Geisterwelt offenstehen und die Seelen der Verstorbenen, insbesondere jene, die keine angemessenen Rituale oder Beisetzungen erhalten haben, umherwandern. Durch das Darbringen von Speisen und Gebeten hoffen die Gläubigen, diesen Seelen Frieden zu schenken.
Auch im Krankenhaus zwischen den Palmen liegen Leben und Tod oft nah beieinander. Gerade während des Pchum Ben Festes wird das besonders spürbar. Während in den Pagoden im ganzen Land den verstorbenen Ahnen gedacht wird, findet auch im Spital eine Form der Zeremonie statt, angepasst an den Klinikalltag, aber getragen von derselben Tradition. Damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht schon vor Sonnenaufgang aufbrechen müssen, um zu den Tempeln zu gelangen, wurden die Mönche ins Spital eingeladen. So begann der Festtag früh am Morgen im Innenhof des Krankenhauses. Die Atmosphäre war ruhig und feierlich. Das gesamte Personal hatte sich versammelt, um zu singen, zu beten und die Segnungen der Mönche zu empfangen. Die Mönche sprachen ihre Gebete, sangen rhythmische Verse, und schliesslich segneten sie das Personal mit geweihtem Wasser. Es war ein Moment der Stille, der tiefen Verbundenheit und Dankbarkeit.
Die diesjährigen Festtage fallen mit dem Todestag von Dr. Beat Richner zusammen, der am 9. September 2018 verstorben ist. Zu seinen Ehren fand eine Zeremonie statt, die spürbar unter die Haut ging. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blieben nach dem offiziellen Teil noch länger, um sich persönlich vor seinem Stupa zu verneigen oder einfach still innezuhalten. Die Dankbarkeit für das, was Dr. Richner aufgebaut und hinterlassen hat, ist allgegenwärtig. Ein Porträt von ihm hängt in vielen Räumen des Krankenhauses, oft in einem goldenen Rahmen, sogar in den Operationssälen. Sein Anblick erinnert täglich an das, was er aufgebaut hat, und an die Werte, die hier genauso beständig weiterleben.
Im ganzen Land wird sein Name mit tiefem Respekt ausgesprochen. Während der Festtage versammelten sich eines Tages alle Mönche aus den Klöstern Siem Reaps vor dem Stupa von Dr. Richner, um ihm ihren Respekt zu erweisen und eine Spende zu übergeben. Sie verwandelten das Krankenhaus in ein Meer aus Orange, das leuchtend von ihrer Präsenz geprägt war. Selbst arme Familien spenden, wenn auch nur kleinere Beträge, um ihre Dankbarkeit gegenüber dem Krankenhaus auszudrücken, das ihnen in schweren Zeiten geholfen hatte. «Er war wie ein Vater für uns», sagt Direktor Chantana, der zusammen mit Co-Direktor Khun von Richner persönlich ausgewählt wurde, um die Kantha Bopha Kinderspitäler mit aufzubauen. Beide sind seit dem allerersten Tag Teil dieser Geschichte, die weit über Medizin hinausgeht.
Auch der goldene Schrein im Innenhof des Krankenhauses strahlt täglich in lebendigen Farben. Angehörige bringen regelmäßig frische Früchte und zünden Räucherstäbchen an, um für die Genesung der kranken Kinder zu beten. Diese Rituale schenken den Eltern Kraft und Hoffnung. Zugleich ist das Vertrauen in die Ärztinnen und Ärzte des Hauses gross. Ohne ihre engagierte und kostenlose Behandlung wären die Aussichten auf Heilung für viele Kinder kaum vorstellbar.
Mit lieben Grüssen aus Siem Reap
Jan
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